5. Das Opfer des Spielmachers

 

Zunächst die Beweisführung: Hans Lach ist Pilgrim-Autor, genau wie Ehrl-König. Die Darstellung des Verlages, insbesondere der Begriff Pilgrim-Kultur weisen stark auf den Suhrkamp-Verlag und den Begriff von der Suhrkamp-Kultur hin. In der Tat ist Martin Walser Suhrkamp-Autor, nicht zuletzt Tod eines Kritikers erschien im Suhrkamp-Verlag. Ferner ist es ein offenes Geheimnis – Marcel Reich-Ranicki beschreibt dies auch in seinem Buch Mein Leben – dass Reich-Ranicki Walser für einen guten Essayisten, aber nicht für einen großen Prosaisten hält. Als Ehrl-König in der Sprechstunde Hans Lachs Buch verreißt, heißt es unter anderem: "Vibrierend vor Ernst fuhr er fort: Er sei ja, das könne Martha nicht wissen, mit Hans Lach befereundet, er schätze ihn als einen außerordentelich begabten Schschscheriftstellerrr, in der keleinen und keleinsten Form gelinge ihm gelegentlich durchaus Gutes, manchmal sogar Vorzügliches, aber im Roman: eine Enttäuschung nach der anderen. Er kann alles mögliche, unser Hans Lach, aber das, was er offenbar am liebsten tut, am ausdauerndsten tut, das kann er nicht, das kann er ums Verrecken nicht. Und das einem Fereund zu sagen, liebe Martha, das tut weh. Aber der Keritiker hat, wenn er Keritiker ist, weder Fereund noch Feind. Seine Sache ist, solange er urteilt, die deutsche Literatür." [1]

Ein weiterer Beweis ist für mich die bereits zitierte Stelle (siehe Fußnote 1) in welcher Hans Lach sein Pseudonym Michael Landolf ablegt. Diese scheint mir doppeldeutig zu sein. Sie bezieht sich nicht nur auf Hans Lach und Michael Landolf, sondern auch auf Martin Walser und Hans Lach.

Hans Lach wird als das Gegenstück Ehrl-Königs vorgestellt. Er wohnt nicht in München-Bogenhausen, sondern in Gern. Er ist ein kleiner Teil einer großen Szenerie, keinesfalls ihr Mittelpunkt. Er ist ein tiefgründiger Autor mit echtem Anspruch, seines Selbstbewusstseins leider beraubt durch die unglückliche Abhängigkeit vom Starkritiker. Er steht dieser Abhängigkeit ohnmächtig und schwach gegenüber.

Er ist ruhig, sachlich, verletzlich und scheu. Er erscheint die ganze Zeit wie ein von der Allmacht verhasster Prügelknabe. Dies löst eine Fixierung auf den Kritiker André Ehrl-König aus, unter anderem nachzuweisen in seinem letzten Buch Der Wunsch, ein Verbrecher zu sein. Sein Verhältnis zu ihm ist bis zum Verriss seines Buches ambivalent. Denn er hofft bis dahin auf eine positive Rezension. Er ist nicht stark genug, seine Texte für sich selbst sprechen zu lassen, sie über die Kritik zu stellen. Dies wird besonders klar, als er ungeladen auf der Party in der Pilgrim-Villa erscheint. Bevor er zur Lesung des letzten Textabschnittes ansetzt sagt er: "Und jetzt, Herr Ehrl-König, jetzt Claquere aller Farben, das letzte Mal, jetzt, lieber Ludwig, jetzt, verehrteste Julia, jetzt das allererste Mal ein Text von Hans Lach, hier, denn dass jetzt Schluß ist, habt ihr ja heute alle miterlebt ..." [2]

Dass jetzt Schluss ist...! In der Öffentlichkeit von Ehrl-König verrissen zu werden, bedeutet für Hans Lach offensichtlich das Ende der Schriftstellerei. Soweit ist seine Fixierung bereits fortgeschritten. Dabei beweist die Lesung der Textstellen auf der Party wie unbegründet und oberflächlich Ehrl-Königs Urteil war. Ironischerweise lies Lach übrigens Auszüge aus den Seiten 401 und 419 vor, was ein sehr schlechtes Bild auf Andrč Ehrl-Königs 400-Seiten-Kriterium wirft.

Hans Lach erscheint dem Leser durchaus symphatisch. Doch die Stilisierung zum Opfer ist genauso einseitig wie die Charakterisierung André Ehrl-Königs. Im Wunsch, ein Verbrecher zu sein liest man Zitate wie "Die Bestrafung. Titel für meine Autobiographie" [3] oder "Wahnsinnsfragmente und Pointenschutt. Klettergeräusche im Leeren. Zersprungene Gipfelversion. Horrormarmelade aufs vergiftete Showbrot. Sadismus zu Tageskursen. Lückenlos nur die Kontrolle. Winziger als die Freiheit ist nichts. Euch entwachsen, bin ich in eurem Griff wie noch nie. Lebenslänglich eine Enthauptung." [4]

Hans Lach ist das perfekte Opfer. Sein unglückliches Schicksal ist es, einen Mord nur fiktiv begehen zu können, in einem Buch. Er hat den realen Mord nicht begangen und ließ sich weiterhin alles gefallen. Bis Ehrl-König wieder auftaucht, will er sich nicht einmal vom Mord freisprechen, da er besser als jeder andere um sein Motiv weiß und – das bleibt unausgesprochen, aber es steht quasi in jeder Zeile – da Ehrl-König es verdient gehabt hätte, durch ihn umzukommen. Er will sich vielmehr lieber der Situation entziehen, sie durch Gestehen und Widerruf auflösen. Daher zieht er sich in sich selbst zurück und nimmt sogar die Nervenheilanstalt auf sich. Ein gebrochener Mann wird uns da vorgeführt, dem sogar das Wiederauftauchen Ehrl-Königs und seine damit verbundene Freilassung keine Freude bereiten kann, da er nun bald wieder unter Ehrl-Königs Macht leiden wird. Gering und nur allzu verständlich soll da der Schlag erscheinen, den Hans Lach am Ende ausführt: das Schreiben eines entlarvenden Romans unter dem alias Michael Landolf.

Doch der einseitige Charakter Hans Lachs hätte, genau wie der von Ehrl-König, einer Brechung bedurft, um das Szenario glaubwürdig erscheinen zu lassen. Er erscheint, durch die Einseitigkeit seiner Darstellung, genauso undifferenziert wie Ehrl-Königs Urteile in seiner Show Sprechstunde.

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[1] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 40f.

[2] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 45f.

[3] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 68

[4] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 69