
2. Die Bewertung der Systemtheorie von Niklas Luhmann
Ich habe mich
bemüht im ersten Abschnitt bei der Schilderung der Habermas-Luhmann-Kontroverse
möglichst neutral zu bleiben und die Positonen der Beiden nicht zu (be-)werten.
Nun aber werde ich die eben noch gebotene Neutralität und Zurückhaltung
ablegen müssen. Um mit meinem Deutungsansatz zu beginnen, muss ich hier zunächst
eine Bewertung der Systemtheorie
anbringen.
Ich bin ein
großer Gegner der Systemtheorie.
Selbstverständlich ist Luhmanns Werk viel umfassender und anspruchsvoller als
die Auszüge, die wir gelesen und bewertet haben. Aber schon diese Auszüge und
die erlernten Grundzüge der Systemtheorie
haben mich mehr als abgestoßen.
Wenn ich
einmal bei dem Beispiel Organisierte
Kriminalität verbleibe, so ist Derjenige, der beispielsweise Mädchenhandel
betreibt, nicht moralisch zu verurteilen, da für Luhmann jedwedes Moralisieren
fehl am Platze ist. Worauf aber gründet sich dann unsere Rechtsprechung,
worauf gründen sich denn Gesetze, wenn nicht auf moralische Überlegungen? Warum wird denn der Mädchenhändler aus
unserem Beispiel, wenn er gefasst wird, verurteilt? Das geschieht doch nicht nur
damit das Rechtssystem reibungslos
funktioniert. Das geschieht doch auch deshalb, weil der Gesetzgeber eine gewisse
Vorstellung davon hat, was richtig ist
und was falsch. Man mag diese
Vorstellungen kritisieren und ein bestehendes Gesetz für überflüssig oder
modernisierungsbedürftig halten, aber das ändert nichts an der Tatsache, das
beim Gesetzgeber moralische Überlegungen zumindest
eine Rolle gespielt haben, als das Gesetz gemacht wurde. Du darfst nicht töten!! Das ist falsch, denn jeder hat ein Recht auf
Leben, welches verfassungsmäßig verankert ist. Da du getötet hast wirst du
bestraft mit...usw. Das ist eindeutig moralisierend!
Und ohne solches Moralisieren, da
bin ich überzeugt, könnte keine Gesellschaft existieren. Eine Gesellschaft
braucht Vorstellungen von dem was richtig und
dem was falsch ist.
Andernfalls führt das zum Zusammenbruch derselbigen. Daher muss man die
Entwicklung hin zu einem "unverzerrten Diskurs unter Gleichen"
eindeutig befördern und darum streiten was richtig
und was falsch ist, zu jeder Zeit
neu und ohne jemals in den Besitz eines für alle Zeiten gültigen Urteils
kommen zu können.
Aber mich stört
nicht nur das Fehlen jeglichen moralischen
Maßstabes in Luhmanns Systemtheorie.
Mich stört vor allem die sich daraus ergebende Degradierung des Menschen zum reinen
Funktionsträger. Da wird regiert, marschiert, protokolliert - ob es einem
nun passt oder nicht. Aber es wird
nicht akzentuiert, interpretiert, Handlungsspielraum ausgenutzt, Zivilcourage
gezeigt auch auf die Gefahr hin persönliche Repressionen erdulden zu müssen.
Dies geschieht, wenn überhaupt, dann nur von Gruppen ausgehend. Aber auch die
bilden sich ja erst einmal aus einzelnen Menschen, die für sich die
Entscheidung des Widerstandes gegen ein bestimmtes System
bereits getroffen haben. In Luhmanns Systemtheorie
jedoch ist der einzelne Mensch nicht viel mehr als ein Spielball des jeweiligen
Systems, ein fast blinder Funktionsträger,
ohne jeden moralischen Anspruch,
der zudem jeden System-Code, und sei
er auch noch so absurd, mitträgt und somit potenziert.
Wie eine
Gesellschaft aussehen könnte, auf die die Systemtheorie
Luhmanns nahezu perfekt zutreffen würde, zeigt meines Erachtens nach der
Roman Der Prozeß von Franz Kafka.
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