
Grundsätzliches
Hallo Mirko,
zuerst will ich ein Wort zu Inhaltsangaben loswerden: ich denke, wenn wir alle das Buch gelesen haben, ist eine solche überflüssig. Bei einer Veröffentlichung im Internet, wenn es dazu kommt, daß Leute sich mit unseren Beiträgen beschäftigen, aber das betreffende Buch nicht gelesen haben, sieht das allerdings anders aus. Doch auch in diesem Falle bin ich dagegen, daß jeder für sich eine Inhaltsangabe verfaßt: erstens, weil es eine Vorgabe ist und Vorgaben wollten wir uns nicht auferlegen, und zweitens, weil sich an den ersten Beiträgen zeigt, daß man sie nur, wenn man das Buch selbst gelesen hat, wirklich nachvollziehen kann, unabhängig davon, ob sie eine Inhaltsangabe mitliefern oder nicht. Ich würde euch gern vorschlagen, daß wir auf der Homepage eine knappe Inhaltsangabe (z. B. von der Rückseite des Buches oder von www.amazon.de etc.) veröffentlichen, um die Handlung des Buches aufzufrischen oder auf die Lektüre neugierig zu machen. In deinem speziellen Falle, Mirko, tendiere ich aber eher zu dem Urteil, daß es besser gewesen wäre, du hättest den 2. Abschnitt komplett weggelassen und uns statt dessen den Versuch einer Inhaltsangabe geliefert. Du schreibst: "zu viel erschien mir wichtig". Das läßt deine Deutung (ohne Inhaltsangabe) aber nicht erkennen: was dir an Details des Proceß-Romans wichtig war, ist durch die Kritik an Luhmann zu kurz gekommen. Daher soll der zweite Absatz meiner Kritik an "Der Proceß als Spiegel Freudscher Persönlichkeitskonflikte" (sedated.doc), der nicht zufällig recht allgemein gehalten ist, gleichzeitig für deine Deutung gelten. Das Wichtige in wenigen Sätzen wiederzugeben ist sicherlich eine hohe Kunst, die zu beherrschen geübt sein will, aber das Wichtige so zu reduzieren, daß es mit der eigenen Deutung und Meinung harmoniert, ist kein großes Kunststück. Das heißt: das, was dir wichtig erscheint, sollte auch dargestellt werden (selbst wenn es mit deiner Interpretation des Textes nicht zusammenpaßt). Was mir zentral und bedeutsam an dem Roman "Der Proceß" erschien, habe ich mit den Fragen "Was hat es zu bedeuten?" (siehe 2. Abschnitt von "Theodizee und Skeptizismus.") zu umreißen versucht, trotzdem ich sie nur oberflächlich beantworten konnte. Daher auch an dich die Frage, die ich Robert gestellt habe: welche dieser Fragen hast du mit deinem Beitrag beantworten können? Ich bin sehr gespannt auf deine Beurteilung (bzw. deine Kritik an den Fragen, denn ich will nicht ausschließen, daß in deinen Augen nebensächlich ist, was mir wichtig erscheint), aber ich erwarte eine schonungslos ehrliche Antwort.
Bereits dein Vorwort gibt Anlaß zu Grundsatzdiskussionen: Es "ging mir in meiner Deutung ausdrücklich nicht darum, was Kafka sagen wollte, sondern was ich in diesem Roman sehe, mit was ich ihn in Verbindung bringe, was er mir sagt. Unter diesem Aspekt muß mein Essay denn auch beurteilt werden." Stolpern, Stutzen, Staunen! Vorsichtig formt sich in uns, die wir das gelesen haben, eine Frage: Wenn deine Perspektive entscheidend ist und nicht, was der Autor meint, wie läßt sich dein Essay dann überhaupt noch beurteilen? Was können, was dürfen wir gegen ihn einwenden, wenn der einzige Maßstab, der zur Beurteilung übrig bleibt, deine Sicht der Dinge ist? "Jetzt wissen wir, was es dem Herrn Schneider sagt! Dankeschön, Herr Schneider! Dankeschön, daß Sie uns an ihrem Bild der Welt teilhaben ließen!" Hierin offenbart sich dann u. a. dein Privatdogmatismus, die zentrale Bedeutung deiner Meinung und deines Urteils vor dem Faktischen. Natürlich gibt es in der Literatur kein Faktisches, aber das heißt nicht, daß alles beliebig ist – das sollte man nicht vergessen zu unterscheiden. Es sollte doch angenommen werden, daß Kafka sich beim Schreiben etwas gedacht hat, daß die Worte, Sätze, Kapitel etwas zu bedeuten haben, und, daß der Roman nicht nur ein Behälter ist, der darauf wartet, mit unserer Meinung und Sicht gefüllt zu werden.
Ein kleines Schauspiel zur Veranschaulichung des eben Gesagten:
Person A zu B:
Entscheidend ist nicht, was der Autor meint oder sagen wollte, ja es ist geradezu unerheblich und uninteressant. Entscheidend ist, wie ich es sehe, was ich denke, was ich glaube, was der Text bedeuten soll, und "was er mir sagt".
Person B zu A:
Mich interessiert nicht, was du denkst (Vorsicht: böse Anspielung!) oder meinst, was es bedeuten soll, und auch meine eigene Meinung hat vor der Frage zurückzustehen: Was wollte uns der Autor damit sagen? Entscheidend ist also, was der Text eigentlich bedeutet und was der Autor ursprünglich gemeint hat. Allein das zählt.
Person C zu A und B:
Weder das eine, noch das andere hat – für sich allein genommen – etwas mit "Hermeneutik" zu tun.
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