8. Für die, die mit dem Feuer spielten

 

Auffällig an der Antisemitismus-Debatte um den Tod eines Kritikers war vor allem das, was die Berliner Morgenpost am 5. Juni 2002 als Stellvertreter-Syndrom beschrieb. "Im Walser-Skandal aber zeigt sich, dass die Attitüde des Priesterlichen nicht der Vergangenheit angehört. Eingeweihte mit exklusivem Textzugang deuten aus, präsentieren Zitate und "Stellen" und nehmen qua Amt für sich in Anspruch, stellvertretend für die Gemeinde zu lesen, zu interpretieren und zu urteilen. Die Frage ist allerdings, ob die Gemeinde dieses Stellvertretertum akzeptiert. Der Streit um Walsers Tod eines Kritikers lässt sich auch beschreiben als Zerfall medialer Öffentlichkeit. Die Akteure dieses Streits bewegen sich in einem selbstreferentiellen Zirkel. Sie kreisen umeinander und beschäftigen sich mit sich selbst und demonstrieren die Macht der Loyalitäten, die sie jeweils ins Feld führen können."

Diese selbstreferentielle Medien-Debatte um das Buch und das Thema dieser Debatte führten das Buch, als es dann erschien, sofort auf Platz 1 der Bestsellerliste. Mittlerweile hat sich der Hype gelegt und es ist vielleicht reizvoll eine Bilanz der Antisemitismus-Debatte um den Tod eines Kritikers zu ziehen. In den Mittelpunkt stelle ich die Frage nach dem antisemitischen Gehalt des Buches.

Walser kann, da hat er recht, nichts für die Herkunft und Identität des von ihm angegriffenen Marcel Reich-Ranicki. Und – auch da hat er recht – es muss auch in Deutschland möglich sein einen jeden Menschen zu kritisieren, wenn sein Verhalten dazu Anlass bietet.

Kritisiert man einen Menschen, weil er Jude ist (oder erklärt seine negativen Eigenschaften zu jüdischen Stereotypen), dann nennt man das Antisemitismus. Kritisiert man einen Menschen einzig und allein wegen eines bestimmten Verhaltens, unabhängig davon ob er Jude ist und ohne zu Stereotypisierungen zu greifen, dann ist das kein Antisemitismus.

Auf Letzteres beruft sich Walser. Er hat den Kritiker kritisiert und nicht den Juden, so meint er. Doch schon beim ersten Vorwurf an seine Darstellung im Buch wird es knifflig. Er bediene typische antisemitische Stereotype, hieß es. So lasse er z.B. das Bild des ewigen Juden wieder aufleben, zudem das des sexbesessenen, tückischen und raffinierten Fälschers, der von der Leistung anderer profitiert. Und in der Tat: So stellt Walser Reich-Ranicki dar. Die Frage ist nur, ob er diese Stereotype dabei im Sinn hatte. Und hier beginnt die Spekulation, die letztlich nur schwerlich zu einem Ergebnis führt.

Die Einen sagen: Ist doch klar. Walser hat die Eigenschaften Marcel Reich-Ranickis aus gängigen antisemitischen Klischees abgeleitet. Die Anderen sagen: Was kann Walser dafür, dass MRR gewisse Eigenschaften hat, die antisemitischen Klischees entsprechen. Die ständige Präsenz Marcel Reich-Ranickis im literarischen Leben z.B. ist doch nicht zu leugnen. Walser hat nur Marcel Reich-Ranicki überzeichnet dargestellt, er hat seine Eigenschaften nicht zu typisch jüdischen erhoben. Aufbauend auf diesen Grundpositionen kann man eine ellenlange Debatte führen. Sie wird besser entscheidbar durch die Beantwortung der Frage für wie realistisch man die Darstellung MRR's hält. Je mehr sich Walser an der realen Persönlichkeit orientiert hat, desto weniger kann man ihm Antisemitismus vorwerfen. Wobei denn immer noch die Frage bleibt, wie sehr Walser diese Persönlichkeit, wissend um antisemitische Klischees, überzeichnen durfte.

Gewundert hat mich allerdings die Überraschung Martin Walsers, als die Antisemitismusvorwürfe aufkamen. Er selbst antizipiert diese Vorwürfe doch schon im Roman selber. Kurz nach Hans Lachs Geständnis heißt es: "Das Thema war jetzt, dass Hans Lach einen Juden getötet hatte." [1] Daraufhin diskutierten die Feuilletons und werfen Hans Lach seinen Hitler-Jargon vor, als er beim Hinauswurf auf der Party MRR androhte: "Ab heute nacht Null Uhr wird zurückgeschlagen." [2] Diese Vorwürfe werden von einem gewissen Wolfgang Leder zurückgewiesen. Zudem ist die Quelle des Zitates dubios. Es ist die FAZ, aber von den Partygästen die Michael Landolf befragt, kann sich keiner an das Zitat erinnern. Dies hat auf mich sehr präventiv gewirkt, so als hätte Walser die Vorwürfe, die da kommen könnten, antizipiert. Letztlich geht es bei der Diskussion, die Walser erwähnt, um einen möglichen antisemitischen Hintergrund der Tat, den die Feuilletons zu beweisen versuchen, indem sie eine dubiose Quelle zitieren. Dieses Vorgehen der Feuilletons ist sehr fragwürdig und wird – in der Person von Wolfgang Leder – zurückgewiesen. Das alles klingt so wie: Seht her, ich habe kein antisemitisches Motiv. Auch wenn ihr mir eines werdet anhängen wollen.

Nebenbei sei noch angemerkt, dass Walser sich auch nicht allzu sehr über die Absage der FAZ bezüglich des Vorabdrucks zu wundern brauchte. Schließlich kommt sie als dubiose Quelle eines solchen Zitates extrem schlecht weg. Nun aber noch zu den Geschmacklosigkeiten des Romans, die auf jeden Fall zum Vorwurf als Antisemitismus gegenüber Walser berechtigen. Walser lässt nämlich, wenn er den Menschen MRR angreift, oftmals Anstand und Menschenwürde vermissen. Bei aller Sehnsucht nach Normalität im Umgang mit unserer Geschichte (was das sein soll und wie das aussehen sollte, wüsste ich mal gern) kann Walser, wenn er schon den Menschen MRR über seine Rolle als Kritiker hinaus angreift, nicht einfach im biographisch Voraussetzungslosen ansetzen. Da heißt es: "So bin ich in meinem ganzen Leben noch nie beleidigt worden, hat Ehrl-König in Stuttgart dem Veranstalter in's Gesicht gebrüllt, weil der versäumt hatte, Ehrl-König in Stuttgart mit dem Taxi vom Hotel abzuholen, so dass Ehrl-König selber den Portier am Empfang bitten musste, ein Taxi zu bestellen. Da beginnt man zu ahnen, was dieser Mann gelitten hat in seinem Leben." [3]

Oder: "Umgebracht zu werden passt doch nicht zu André Ehrl-König" [4] Solche Passagen sind einfach nur unterste Schublade. Wie soll man das lesen, ohne es für Hohn und Spott gegenüber der Biographie Reich-Ranickis zu halten?

Der Roman hat einige antisemitische und sehr viele in diese Richtung tendierende, fragwürdige Stellen, die Raum zum Spekulieren lassen. Wer aber diesen Raum lässt, darf sich auch über unangenehme Spekulationen und heiße Debatten nicht wundern. So wie Walser haben auch die Medien mit dem Feuer gespielt, die den großen Skandal inszenierten, allen voran Frank Schirrmacher, dessen öffentliche Absage das Spektakel zusätzlich anheizte. Sie waren nur noch für sich und ihre Machtspielchen da und benutzten dazu das Thema Antisemitismus, welches eine wesentlich seriösere Diskussion unter Einbeziehung des (literarischen) Publikums verdient gehabt hätte. Und auch Marcel Reich Ranickis unglückliche Forderung, das Buch solle erscheinen, aber nicht im Suhrkamp-Verlag, war nicht hilfreich. Das lies die Debatte um die Veröffentlichung des Buches vollends zu einer Machtfrage im Literaturbetrieb werden.

Fazit: Alle Beteiligten, vor allem große Teil der Medien und Martin Walser haben sich kräftig verbrannt beim Spiel mit dem Feuer. Moralisch gesehen. Ihren Auflagen hat es nicht geschadet. Das ist das eigentlich Tragische. Warten wir also bis zur nächsten Hysterie. Wer auch immer sie auslöst.

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[1] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 144

[2] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 48

[3] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 148

[4] Martin Walser: Tod eines Kritikers. S. 183