
4. Ein typischer Goethe?
Ich gestehe ein, nicht genug Hintergrundwissen, und wenn, dann vorwiegend aus zweiter Hand, beisammen zu haben, um zu der Fragestellung, inwieweit dieser Roman typisch für Goethe sei, viel Erhellendes beitragen zu können. Ich habe außer dem Werther den Faust – Der Tragödie erster Teil von Goethe gelesen und kenne zwei Gedichte von ihm – das war’s. Nichtsdestotrotz möchte ich zumindest die Fragestellung aufwerfen, gerade vielleicht auch interessant für Goethe-Kenner, die den hier rezensierten Roman noch nicht kennen, inwieweit dieser Roman typisch für Goethe ist.
Mir scheint er ziemlich aus der Reihe zu tanzen, was mich unheimlich positiv überrascht hat. Faust ist ein intellektuell ziemlich stimulierendes Stück mit vielen Höhepunkten, aber der Held, wenngleich er in Gretchen seine Liebe findet, ist mit dem durch und durch emotionalen Werther überhaupt nicht zu vergleichen. Auch habe ich Goethe nach der Lektüre dieses Stücks eher für einen rationalen, um nicht zu sagen nüchternen, wenngleich ohne Zweifel hervorragenden Dichter gehalten (um ganz ehrlich zu sein, war das erst nach dem zweiten Lesen so, weil ich den Faust zunächst in der Schule lesen musste und ihn fürchterlich langweilig fand).
Die Fragestellung ist gerade vor dem Hintergrund interessant, dass Goethe sich mit dem Roman Die Leiden des jungen Werther sozusagen von eigenen Qualen befreit hat, indem er sie niederschrieb. Zitat aus dem Nachwort: "Goethes Liebe zu Lotte Buff ist der Hintergrund des Romans. Sie füllte die Sommermonate des Jahres 1772. Viele Züge im ersten Teil des Romans sind erlebt, aber vom Dichter so in das Kunstwerk eingeschmolzen, dass sie, um einen Lieblingsausdruck des alten Goethe zu gebrauchen, im Aufbau des Ganzen bedeutend wurden." [1]
Noch etwas anderes aus dem Nachwort erschien mir zitierenswert und gibt Anlass zu Spekulationen. Zitat aus dem Nachwort: "Goethe hat seinen Roman, nachdem er ihn sich von der Seele geschrieben, gemieden. Wir hören auch nicht, dass er aus ihm vorgelesen, wie aus seinen anderen Werken. – "Es sind lauter Brandraketen", sagte er noch im Alter zu Eckermann." [2]
Gerade dieses Zitat weist doch sehr darauf hin, dass Goethe bei diesem Roman, um es etwas despektierlich auszudrücken, die Pferde durchgegangen sind und er einiges vom Geschriebenen später so nicht mehr vertreten hat (z.B. die schon angesprochene Verteidigung des Selbstmordes als nicht an sich lasterhafte Handlung). Dies muss berücksichtigt werden, um nicht den Werther als Ebenbild Goethes zu sehen. Diese Gleichsetzung gilt mit einiger Sicherheit nur für die Phase der Verliebtheit in Lotte Buff.
Allerdings handelt es sich daher beim Werther sicher, dies darf wohl unbestritten gesagt werden, um eines der persönlichsten Werke von Goethe.
Zurück | Kritisieren & Diskutieren | Mail | About Mirko
____________________
[1] Seite 161, 3.Absatz ff
[2] Seite 164, letzter Absatz